Wenn die Gedanken nicht mehr frei sind

Gestern abend vor dem Spaziergang. 21 Leute stehen in einer lockeren Runde am Rande des Grünheider Marktplatzes zusammenen. Wir kennen uns alle vom Sehen von vielen Spaziergängen. An einigen Jacken und Mänteln steckt ein Batch: „Gesund ohne Zwang“ – eine Aktion der AfD. Auch eine Vertreterin von „die Basis“ ist mit dabei. Aber die meisten Teilnehmer haben keine parteipolitische Bindung. Uns verbindet vor allem der Widerstand gegen die Impfpflicht. Keine Plakate, keine Trillerpfeifen, keine Demonstrationsutensilien. Einzelne Teilnehmer tragen Laternen.

Zwei Polizisten treten hinzu. Aus dem Gedächtnis:

„Sie halten hier eine Versammlung ab. Das ist illegal. Sie müssen sie anmelden.“

Ich stehe dem Polizisten zufälligerweise gegenüber und reagiere spontan: „Nein, das ist keine Versammlung. Wir gehen spazieren. Wir kennen uns privat und unterhalten uns dabei. Laut Infektionsschutzgesetz dürfen wir das. Wir verletzen hier keine Gesetze.“

Die beiden Polizisten schweigen und treten ein Stück zurück. Der, der gesprochen hat, schaut mich streng an. Ich schaue zurück. Wir unterhalten uns weiter in der Gruppe. Fünf Minuten später machen wir uns auf den Weg. Etwa eineinhalb Kilometer geht es durch den Ort, schließlich treffen wir auf dem Parkplatz der Netto – Filiale ein. Dort singen wir gewöhnlich das Lied „Die Gedanken sind frei“ – mit abgewandeltem Text. Wir bilden einen lockeren Kreis. Die Polizei parkt 10 m weiter.

Der örtliche Vertreter der AfD, der auch immer dabei ist und schon einmal eine Anzeige mit Ordnungsgeldforderung erhalten hat, sagt zu uns: „Die Polizei hat mir mitgeteilt, sobald wir anfangen zu singen, werten sie es als verbotene Versammlung und ich bekomme eine neue Anzeige. Ich schlage vor, wir singen heute abend nicht.“

Alle sind einverstanden und wir machen uns auf den Rückweg zum Marktplatz. Mit oder ohne Gesang, das Signal an den Staat ist angekommen. Sie werden es weitermelden. Die Polizei ist nicht mehr zu sehen.

Macht nur so weiter. So macht man aus Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft Staatsfeinde.

Man kann nur noch den Kopf schütteln, so lächerlich ist das. Die Polizei verbietet das Singen. Die Gedanken sind nicht mehr frei.

Während am Kotti und im Görlitzer Park in Berlin Dealer unbehelligt ihren Geschäften nachgehen und Clans ganze Stadtviertel terrorisieren, bekommen einfache Bürger die ganze Härte der Staatsmacht zu spüren, bis vor kurzem sogar, wenn nur ein paar Jugendliche zu mehreren im Stadtpark zusammenstehen:

4 Kommentare zu „Wenn die Gedanken nicht mehr frei sind

  1. Ihr hättet die Polizisten mal fragen können, ob ihr ungestraft die „Internationale“ singen dürft. Zwar muss ich eingestehen, deren Text nur partiell zu kennen, aber die bekanntesten vier Zeilen daraus wären doch schon wieder gar nicht so unpassend, denke ich mal im Stillen (und deshalb gottlob bislang noch folgenlos ohne Strafandrohung).

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  2. Mein Vater hat bereits im Frühjahr 2020 gesagt, daß man nun real lernen könne, was damals geschah und bald niemand mehr fragen müsse, wie es dazu kommen konnte.
    Nach meiner Wahrnehmung sind wir irgendwo Ende ’38, Anfang ’39 angekommen. Natürlich ähnelt sich nicht alles, Geschichte wiederholt sich nie deckungsgleich, es fehlt aber nicht mehr viel um die letzten Reste der zivilen Fassade bröckeln zu lassen.
    Ich war jetzt seit Jahren nicht mehr in Frankreich oder Italien. Wie man hört haben die genauso schwachsinnige Regeln wie wir, nur wage ich zu bezweifeln, daß die sich derart sklavisch daran halten und zu Gefängniswärtern ihrer eigenen Landsleute werden. Denn, auch das ist typisch deutsch und Teil der hiesigen „Leitkultur“.

    Schon bizarr, daß man sich nun sogar fürs spazieren rechtfertigen muß. Aber wie meinte schon Jack Lemmon: „Eine Diktatur ist ein Staat, in dem das Halten von Papageien mit Lebensgefahr verbunden ist.“

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  3. Aber der Homo sapiens bonhomensis – auch bekannt als Gutmensch – sieht nur die autokratischen Bestrebungen in anderen Ländern, glaubt aber immer noch, hier in Deu würden die wahren Demokraten die Verantwortung haben. Falsch gedacht, denn die DDR 2.0 wächst langsam aber stetig wie ein Krebs.

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