Die SZ mobbt Boris Reitschuster, der „Spiegel“ bringt einen Relotius hervor. Gerade hat sich ein bekannter Musikpublizist und Pianist, der Opfer eines politisch korrekten Shitstorms des BR und anderen geworden war, das Leben genommen.
Wie konnte es nur soweit kommen? Das fragt man sich angesichts des Niedergangs der Qualitätsmedien. Früher ein Hort der Aufklärung, der Enttarnung von unlauteren Machenschaften, der Kritik an Regierung und Opposition und der ergebnisoffenen gesellschaftlichen Diskussion, sind sie heute Brutnester ideologischer Inzucht. Das „Sturmgeschütz der Demokratie“ bringt nur noch Rohrkrepierer hervor.
Heute wähnt man sich eher in einem Superman-B-Movie. Es gibt nur noch ein Thema: Gut gegen Böse. Die Akteure wechseln zwar, man erkennt sie aber meist an der Farbe: die Guten sind rot oder grün, die Bösen blau. Oder sie sind Verschwörungstheoretiker bzw. Corona-Leugner. Fast könnte man auf die Idee kommen, dass diese infantil polarisierend-moralisierende Sicht, die Grundlage für unzählige Actionplots war und ist, auf den selber denkenden Teil der Gesellschaft übergegriffen hat.
Aber vielleicht hat auch einfach nur der denkende Teil der Gesellschaft diese Tätigkeit eingestellt.
Dahinter steckt mehr als nur Denkfaulheit oder ideologische Verbohrtheit. Es ist ein Generationskonflikt. Die Generation unserer Kinder hat übernommen, und das bedeutet: Infantiltät ist ebenso Mainstream geworden wie Spielfreude im positiven Sinne. Finnische Studenten beschweren sich über „Gewaltexposition“ bei „Romeo und Julia“, die Gewalt bei „Cyberpunk 2077“ fällt ihnen nicht auf. Solcherlei Eskapismus mit geradezu selbstverständlicher Gewalt gehört inzwischen zur Mainstream-Popkultur und wird von den Jüngeren nicht mehr infrage gestellt.
Der ethische Stellenwert von Arbeit dagegen hat im Laufe der Jahrzehnte immer mehr abgenommen. War es früher verpönt, für viel Geld wenig zu leisten, ist es heute verpönt, für die eigene Arbeit nicht viel Geld zu verlangen. Wer bescheiden ist, macht sich lächerlich.
Es geht um persönliche Effektivität: Mit möglichst wenig Arbeit möglichst viel Geld abzugreifen, das ist für viele Lebensziel. Und das kann man nicht nur im Medienbereich am besten mit Konformität. Die Zahl der systemkonformen Bullshit-Jobs nimmt ständig zu, was den wirklich Mächtigen zupass kommt, denn solche Leute, da im Grunde nicht leistungsfähig, sind abhängig und damit sehr gut steuerbar. Alle Anforderungen erfüllen, den eigenen Standpunkt flexibel anpassen und am besten schließlich selbst an das glauben, was dem eigenen Fortkommen am meisten dient. Der Mensch hat eine Urangst, sich außerhalb der Gemeinschaft wiederzufinden. Das ist ein sich selbst verstärkender Effekt des Auf-Linie-Bringens.
Auch hier sehe ich wieder Parallelen zur DDR. Ich hatte bereits geschrieben, dass ein Grund des Niedergang der Medien auch daran liegt, dass der Auftraggeber gewechselt hat. Das allein ist es aber nicht. Ein Generationskonflikt kommt hinzu, und der liegt darin, dass heute mit den neuen technologischen Möglichkeiten auch die Mittelmäßigen bessere Chancen haben, sich durchzusetzen. Und das erreichen sie immer noch am leichtesten mit Networking, Anpassen, Opportunismus, Solidarisierung.
Meine Generation wollte etwas können. Die heutige will vor allem etwas darstellen. Nonkonformismus dagegen ist etwas für starke Naturen, die waren bisher in allen Gesellschaften in der Minderheit. Aber heute, im Zeitalter der Influencer, haben sie sogar ihre Vorbildfunktion verloren.
Shitstorms sind nichts anderes als Mobbingaktionen geballter Mittelmäßigkeit. Früher ging das nur im realen Leben, heute reichen ein paar Mausklicks dazu.
Noch ein Moment ist von Bedeutung: mit den 68 ern hatte der Marsch in die Individualisierung begonnen. Selbstverwirklichung wurde wichtiger als eigene Werte. Heute haben wir den Endzustand dieser Entwicklung: die Gesellschaft zerfällt in einzelne Milieus und Blasen, die jeweils ihren eigenen Kodex haben. Die Linken haben dabei mit angeblich oder tatsächlich benachteiligten Gruppen einen regelrechten Kult betrieben. Dabei ist nicht mehr ein gesellschaftlicher Konsens für die Beurteilung entscheidend, sondern die subjektive Sicht der betroffenen Gruppe.
Es ist ein bisschen wie bei Pippi Langstrumpf. Die Welt ist nicht objektiv gegeben, sondern so, wie ich sie sehen will. Entscheidend ist nicht, ob jemand tatsächlich benachteiligt wird, sondern ob er sich benachteiligt fühlt. Die Welt ist nicht so, wie sie ist, sondern so, wie ich und meine Blase der Erleuchteten sie sehen. Nur so ist das wütende und hasserfüllte Mobbing von 150 Mitarbeitern der New York Times gegenüber dem Journalisten McNeil erklärbar.
Wir haben also eine Gesellschaft von Langstrümpfen und Supermännern. Da bin ich doch ganz froh, dass ich schon 71 Jahre alt bin und meine Lebenszeit begrenzt ist.
Diese wieder einmal hervorragende Beurteilung zur Lage sollte an allen Rathäusern, Schulen, Kirchen und sonstigen öffentlichen Gebäuden angeschlagen werden.
Meine ganz persönliche Optimismusquote, ganz besonders für Deutschland, aber leider auch anderswo, noch etwas zum Guten zu verändern, liegt inzwischen bei 10%. Ich war ja schon immer recht optimistisch eingestellt, deshalb die gerade noch zweistellige Rate.
Mehr Raum gibt die jetzige Situation leider nicht her. Im Gegenteil fürchte ich, es wird noch deutlich schlimmer.
Wenn erstmal der eigentlich schon jetzt unausbleibliche wirtschaftliche Niedergang eintritt, bin ich zumindest froh, in meiner nun dörflichen Nachbarschaft nicht mit einem Knüppel unter dem Kopfkissen schlafen zu müssen. Anderswo könnte es aber durchaus schlimm werden.
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Geht mir genau so … Manchmal ist Alter ein Segen …
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